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Predigt vom 12. Januar 2025

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Predigt vom 12. Januar 2025

Predigt am 12.1.2025 1. Sonntag nach Epiphanias

Jos 3,5-11.17

Dann sagte Josua zum Volk: »Sorgt dafür, dass ihr heilig seid! Denn morgen wird Gott unter euch Wunder tun.« 6Und zu den Priestern sagte er: »Hebt die Bundeslade hoch und zieht vor dem Volk her!« Da hoben sie die Bundeslade hoch und gingen voraus.  Gott aber sprach zu Josua: »Heute will ich beginnen, dich vor den Augen aller Israeliten groß zu machen. Dann werden sie erkennen, dass ich mit dir bin, wie ich es mit Mose gewesen bin. 8Du selbst sollst nun den Befehl geben und zu den Priestern, die die Bundeslade tragen, sagen: Wenn ihr am Wasser des Jordan angekommen seid, dann bleibt dort stehen!« 9Schließlich wandte sich Josua an die Israeliten: »Kommt hierher und hört, was der Herr, euer Gott, zu sagen hat!« 10Dann sagte Josua: »Daran sollt ihr erkennen, dass ihr einen lebendigen Gott in eurer Mitte habt: Gott wird vor euren Augen die Kanaaniter vertreiben, die Hetiter, Hiwiter, Perisiter, Girgaschiter, Amoriter und die Jebusiter. 11Seht auf die Bundeslade! Der Herrscher über die ganze Welt wird vor euren Augen durch den Jordan ziehen.  Die Priester, die die Bundeslade Gottes trugen, blieben im trockenen Flussbett des Jordan stehen. So kamen alle Israeliten trockenen Fußes hinüber, bis der Durchzug durch den Jordan abgeschlossen war.  

Selbstbestimmt leben können. Ohne Angst. Sicher. In Frieden.

Eine Grundsehnsucht. Ich meine, ein Menschenrecht. Und gleichzeitig: wie schwierig, dies wirklich umzusetzen. Alle Menschen ohne Angst. Sicher. In Frieden. Wie ein Traum, eine Utopie; deren Realisierung ich mir in unserer Welt nur schwer vorstellen kann. So viele Probleme, Ungerechtigkeiten; Krieg an so vielen Orten, so viel Gewaltherrschaft. Der Konflikt im Nahen Osten ist nur einer der zahlreichen weltweit.

Wenn wir biblische Berichte von einer Landnahme Israels lesen, dann ist die aktuelle Situation, besonders der Konflikt mit den Palästinenser:innen sofort präsent: Gott wird ganze Völker vor Israel vertreiben; Israel wird sicher wohnen- aber auf Kosten der ansässigen Bevölkerung. Was für eine Vorstellung.  Sie passt nicht zu dem, wie wir Gott erleben. Passt nicht zu unserer Vorstellung einer friedlichen Welt. Auch die Geschichte lehrt: Frieden auf Kosten anderer ist selten von Dauer.

Dabei ist das, was das Josuabuch über die Landnahme Israels erzählt, kein historischer Tatsachenbericht. Mehr noch: es ist ganz und gar anders gewesen!

Diese Erzählung eines großen Volkes, das in großer Zahl der ägyptischen Herrschaft entflieht und nach 40jähriger Wanderschaft durch die Wüste die heimischen Völker vertreibt, um das Land in Besitz zu nehmen. So erzählt es die Bibel.

Bevor der Staat Israel entstand, dessen berühmtester König David war, gab es verschiedene nomadisch lebende Stämme. Ein oder zwei von ihnen kamen wohl auch aus Ägypten. Allmählich gingen sie zur Sesshaftwerdung über- zumeist ein friedlicher Prozess, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckte.

Und doch wird diese Legende von der Landnahme kultiviert, weitergetragen, geglaubt. Sie ist Trost, bietet Halt, verheißt Zukunft.  Denn ein starker Gott ist an ihrer Seite.

Wer spricht, räumt, sehnt sich hier nach Stärke und Größe? – und verankert dies religiös? Wer macht sich hier zum Sieger, zu dem, der die Dinge in der Hand behält?

Hören wir genau auf das, was hier erzählt wird: Sie stehen auf Sand inmitten reißender Fluten. Sie wissen nicht, ob sie das rettende Ufer erreichen werden. Der Boden wankt, er bietet keinen Halt.

Auf Sand gebaut ist ihre Situation; die Situation der Menschen, die hier zu Wort kommen. Ja, immerhin. Ich stehe. Kein Fels. Aber doch. Alles was flutet auf Abstand. Ich bin sicher.

Hier kommen Menschen zu Wort, die Schlimmes erlebt haben. Es ist vorbei. Und doch hat sich das Erlebte tief in ihre Seelen eingebrannt. Wie können sie das Erlebte verarbeiten? Was ist mit Chaoswasser und Gewalterfahrungen?

Wie gut, wenn es einen Raum gibt, um das Erlebte zu verarbeiten. Ein sicherer Ort, um behutsam einen Umgang zu finden mit dem Geschehenen.

Im Josuabuch kommen Menschen zu Wort, die Opfer geworden sind. Es ist in einer Zeit entstanden, als der Staat Israel zerstört, ein Großteil der Oberschicht deportiert und Menschen versuchen, die Gewalterfahrung eines verlorenen Krieges zu verarbeiten. Sie haben überlebt. Aber sie sind verletzt, verunsichert, die Seele hat tiefe Narben davongetragen. Sie sind in Sicherheit. Aber nichts ist, wie es einmal war. Sie sind zutiefst verunsichert.

Das Josuabuch ist Traumaliteratur; entstanden in der Zeit des Exils. Wie gut, wenn es in der Fantasie eine Alternative gibt; wenn ich mich als Siegerin fantasieren, diejenige sein kann, die Gewalt ausübt; wie gut, wenn es eine Alternative gibt- zumindest in der Fantasie. In der Fantasie bin ich groß; so groß, dass niemand mir schaden kann. Die Bedränger werden überwältigt, aus der traumatischen Zone vertrieben; ein Recht auf mein Leben bestritten und gebannt. Sie werden ausgelöscht- in der Fantasie.

Die Umkehrung des Erlittenen ist nicht die Überwindung des Traumas. Aber der sichere Ort der Fantasie stellt dennoch einen notwendigen Schritt der Verarbeitung dar.

So verstanden ist das Josuabuch nicht nur Traumaliteratur. Es lädt uns ein, einen Frieden zu suchen, der nicht mehr aus Siegern und Besiegten besteht. Sondern aus Menschen, die alle die Sehnsucht und das Recht haben, in Sicherheit zu leben. Schon jetzt verbindet uns diese Sehnsucht. Auch wenn das Ufer in weiter Ferne liegt.

Nie geht es um mich allein. Immer sind da andere, die wie ich auf wankendem Boden das rettende Ufer ersehnen. Wie könnte es aussehen, dieses neue Ufer? Dieses unbekannte Land?

Ich stelle mir ein Land ohne Grenzen und ohne Landnahme vor. Ein Land, hell und weit. Ein Land, in dem die Fremdheit des anderen mich nicht bedroht, sondern bereichert.

Ein Traum? Eine Utopie? Messianische Zeiten?

Im biblischen Bericht geht ihnen die Lade Gottes voran- verbunden mit der Aufforderung, sich zu heiligen, hinauszutreten aus dem Eigenen. Nicht die eigene Identität und Individualität, sondern etwas, das größer ist als das eigene Ich, geht voran, bietet Orientierung und Sicherheit.

Der israelisch-deutsche Philosoph Omri Boehm spricht davon, dass Menschen lernen, im anderen Menschen die ganze Menschheit zu sehen. Er fordert einen radikalen Universalismus.

Das Josuabuch spricht von der Bundeslade Gottes der ganzen Erde. Dieser Gott, den sich ein verletztes Volk groß und mächtig an die Seite wünscht. Dieser Gott, den wir auch klein und verletzlich im Stall von Bethlehem finden, ist mehr als unser Wunsch nach Größe, nach Exklusivität und Individualität. Gott, alles umfassend, alles übersteigend, was wir mit unseren Bedürfnissen, Wünschen, mit Verletzungen und Potentialen uns vorstellen können. Wir tun gut daran, einen Schritt zurückzutreten und dem Raum zu geben, der- oder die alles in allem ist.

Mit zitternden Knien. Und mit offenen Händen ein Land vor Augen, das mich leben lässt- gemeinsam mit meinem Bruder und meiner Schwester.

 

- Pastorin Nicola Nehmzow

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