18/05/2025 0 Kommentare
Nicht fühllos werden - Predigt von Pastor Martin Klatt zum Sonntag Kantate
Nicht fühllos werden - Predigt von Pastor Martin Klatt zum Sonntag Kantate
# D | Predigten

Nicht fühllos werden - Predigt von Pastor Martin Klatt zum Sonntag Kantate
Apostelgeschichte 16, 23-34:
Nachdem man sie hart geschlagen hatte, warf man Paulus und Silas ins Gefängnis und befahl dem Kerkermeister, sie gut zu bewachen. Als er diesen Befehl empfangen hatte, warf er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block. Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und es hörten sie die Gefangenen. Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, sodass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten sich alle Türen und von allen fielen die Fesseln ab. Als aber der Kerkermeister aus dem Schlaf auffuhr und sah die Türen des Gefängnisses offen stehen, zog er das Schwert und wollte sich selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen.Paulus aber rief laut: Tu dir nichts an; denn wir sind alle hier! Der aber forderte ein Licht und stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen. Und er führte sie heraus und sprach: Ihr Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde? Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig! Und sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause waren. Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht und wusch ihnen die Striemen. Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen und führte sie in sein Haus und bereitete ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war.
„Der Pinguin meines Lebens“ – Der Trailer verheißt, dass es ein lustiger Film ist. Anrührend auch. Witzige und hintergründig-geistvolle Dialoge. Und eben in der Hauptrolle ein Pinguin. Ich mag Pinguine. Schon die schwarz-weiße Erscheinung … Verbindet irgendwie. Einen Pinguin sehen und lächeln müssen, ist eins. Es verspricht, ein fröhlicher Kinoabend zu werden.
Es ist eine verheißungsvolle Geschichte, die da ihren Lauf nimmt. Paulus und Silas sind unterwegs, um das Evangelium, die frohe Botschaft von Jesus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, in die Welt zu tragen. Sie verkündigen einen Herrn, der anders ist als die Herren in der Welt. Dessen Macht eine andere ist, als Gewalt und Herrschaft mit Angst. Es ist eine befreiende Botschaft vom Leben und vom Ende aller Todes-Herrschaft.
Du bist kostbar in Gottes Augen, wer du auch bist. Du bist nicht festgelegt durch das, was war. Du bist frei, mitten im Leben deinem Leben eine neue Richtung zu geben. Gott selber gibt dir diese Freiheit. Wer zu Christus gehört, für den verlieren die alten Zwänge ihre Macht. Mit dieser Botschaft sind Paulus und Silas bis nach Europa gekommen, nach Philippi. Eine erste kleine Gemeinde bildet sich – im Haus der Purpurhändlerin Lydia.
Und dann nimmt die Geschichte einen gänzlich anderen Verlauf. Das Evangelium beginnt die Geschäfte einiger Herren zu stören. Sie wiegeln die Bevölkerung auf, Fremdenfeindlichkeit und Ressentiment – gab es damals schon, ein kurzer Prozess. Paulus und Silas werden in aller Öffentlichkeit geschlagen und ins Gefängnis geworfen. Hochsicherheitstrakt. Die Füße in den Block gelegt – sie können weder sitzen noch liegen. Es ist ein Foltergefängnis. Ein Ort, der Menschen zerbrechen soll. Ein Ort, an dem Willkür, Gewalt und Sadismus herrschen. So wie das berüchtigte Gefängnis Sednaja in Syrien, in dem das Assad-Regime missliebige Personen gefangen hielt. Eine Hölle auf Erden.
Bevor im Film der Pinguin ins Spiel kommt, erzählt er den Militärputsch in Argentinien 1976. Das Terrorregime der Militärjunta. Willkürliche Verhaftungen. Am helllichten Tage. Menschen verschwinden – spurlos. Es waren mehr als 30.000. Auch Sofia, die bei Tom, dem Hauptdarsteller des Films, sauber macht, wird eines Tages auf offener Straße in ein Auto gezerrt und verhaftet. Und niemand schaut hin oder wagt einzugreifen aus Angst.
Doch dann gibt es doch eine überraschende Wendung.
Im Film ist es der Pinguin. Der hat den Lehrer Tom unfreiwillig am Strand als Retter auserwählt. Nun folgt er ihm auf Schritt und Tritt, und Tom nimmt ihn notgedrungen mit nach Hause. Seine Haushälterin Maria und ihre Enkelin Sofia sind sofort Feuer und Flamme für den putzigen Vogel, den sie "Juan Salvador" taufen. „Salvador“ heißt „Retter“. Der kleine Pinguin wird schnell zum Hauptdarsteller und Herzensbrecher. Er wird umhegt und gepflegt von allen Seiten. Er steigert die Lernerfolge von Toms privilegierten Problemschülern. Er verändert das Miteinander in der Klasse. Selbst der Direktor, vertraut ihm hochemotionale Dinge an – ein Pinguin als geduldiger und verschwiegener Therapeut. In einem von Gewalt und Angst geprägten Umfeld verändert Juan Salvador die Menschen und ihr Miteinander auf zarte, leise Weise.
In der biblischen Geschichte ist das Singen die Rettung. Paulus und Silas ergeben sich nicht der Verzweiflung. Es wäre naheliegend. Es wäre absolut verständlich und ihnen kein Vorwurf zu machen. Doch kein Wort davon. Völlig überraschend und unerwartet, verloren wie sie sind, an einem elenden Ort ohne Licht und ohne greifbare Hoffnung, mitten in der Nacht beginnen sie zu singen.
„Aus der Tiefe, Herr, rufe ich zu dir.“ (Ps 130)
„Du, meine Seele, singe, wohlauf und singe schön!“ (EG 302)
„Um Mitternacht will ich aufstehen, um dir zu danken für deine gerechten Urteile.“ (Ps 119)
„We shall overcome. We shall overcome. Deep in my heart I do believe that we shall overcome some day.”
“Christ ist erstanden von der Marter alle.“ (EG 99)
„Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke, mein Licht, Christus, meine Zuversicht, auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht." (Taizé)
“Geh aus, mein Herz, und suche Freud…“ (EG 503)
„Go down, Moses, way down in Egypt’s land. Tell old Pharaoh: Let my people go!”
Sie singen miteinander. Sie singen füreinander. Sie singen sich hinein in den Vertrauensraum der alten Lieder. Und indem sie singen, entsteht Gemeinschaft – untereinander und mit all denen, die die Lieder vor ihnen gesungen haben. Ihr Glaube gibt ihnen die Freiheit, auch jetzt noch zu singen. Oder singen sie sich hinein in den Glauben? Vielleicht ist es ja beides.
Die Gefangenen hören das Singen. Ausdrücklich ist es vermerkt. Sie hören Unerhörtes an diesem Ort, an dem sonst geflucht, geschluchzt, geschimpft, geschrien wird. An einem lieblosen Ort singen zwei Menschen von einer Liebe, die immer schon da war und die bleibt; nicht einmal der Tod hat sie ja auslöschen können. Wo es kaum etwas Gutes gibt, besingen sie die Güte des Lebens.
In diesem Moment verliert das Gefängnis seine alles bestimmende Macht. Eine andere Wirklichkeit bricht ein in die Wirklichkeit des Kerkers.
„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag.“ (EG 65) Von Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis gedichtet.
Wo gesungen wird mitten in der Angst, da herrscht die Angst nicht mehr. Und da lassen sich Menschen mit Angst nicht mehr beherrschen. Wo im Dunkel vom Licht gesungen wird, ist die Finsternis nicht mehr total. Um Mitternacht beginnt ein neuer, ein anderer Tag. Wo Gottes Lob erklingt, da sind Menschen nicht mehr nur im Würgegriff der Not; da ist die Not nicht mehr das Ganze.
Die meisten der Lieder Paul Gerhardts sind entstanden während des 30jährigen Krieges. Die Gospels haben ihren Ursprung in den Gemeinden der Sklaven Amerikas. Es sind Freiheitslieder, Protestlieder, den herrschenden Verhältnissen entgegen gesungen.
Die Grundmauern des Gefängnisses geraten nicht erst ins Wanken, als das Erdbeben sie erschüttert. Fesseln, mindestens einmal die inneren, fallen von Paulus und Silas ab und sie treten ins Freie, als sie singen.
„Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ (EG 65)
Für den Chef des Gefängnisses aber bricht alles zusammen. Mit den Fundamenten des Gefängnisses auch die seines Lebens. Er will sich das Leben nehmen. Alles gerät durcheinander: „Ihr Herren!“ So redet er die Gefangenen an. Geht ihm schlagartig auf, dass er, der Wärter der Gefangenen, selber ein Gefangener ist: gefangen in einer Ordnung, der er dient – und die ihn zwingt unbarmherzig zu sein? Wie kann ich entkommen? fragt der, der Gefangene bewacht hat. Was muss ich tun, dass ich gerettet werde?
Der Polizeioffizier im Film ist anders. Er lässt sich nicht berühren – nicht durch den Pinguin, mit dem seine Tochter spielt, nicht durch das, was Tom ihm erzählt vom Tod seiner eigenen Tochter. Weil Tom sich für Sofia einsetzt, lässt er auch ihn verhaften.
Ich liebe Geschichten mit Happyend, so wie die biblische Geschichte eines hat: mit einer Bekehrung, Heilung, Wunden, die versorgt werden, mit Osterpredigt, Tauffest und nächtlichem Festmahl und großer Freude bei allen.
Der Film hat keines dieser Art. Am Ende stirbt der Pinguin Juan Salvador. Im Park der Schule wird er begraben. Alle kommen zu seiner Beerdigung. „Ich bin traurig", sagt Tom in seiner kleinen Ansprache. „Und ich bin froh, dass ich traurig bin.“
Oder ist eben das das gute Ende? Juan Salvador hat Menschen aus ihrer Fühllosigkeit gerettet. Er hat auch bei Tom verlorengegangene Empathie und menschliche Regungen wieder zum Vorschein kommen lassen. Fürsorglichkeit. Mitgefühl. Freude. Ich glaube: Singen kann das auch bewirken: sich in eine andere Wirklichkeit hineinbegeben, sich nicht abfinden; nicht abstumpfen; berührbar bleiben. Und daraus erwachsen Widerständigkeit und Trotzkraft.
Happyend ist auch dies: Tom ist aus dem Gefängnis entlassen worden, und auch Sofia kommt frei, weil es Menschen gibt, die der Angst widerstanden und sich für sie eingesetzt haben. Und die Fortsetzung der biblischen Geschichte jedenfalls geht so: Als es aber Tag geworden war, sandten die Stadtrichter die Gerichtsdiener und ließen sagen: Lass diese Männer frei! Und der Kerkermeister überbrachte Paulus diese Botschaft: Die Stadtrichter haben hergesandt, dass ihr frei sein sollt. Nun kommt heraus und geht hin in Frieden! Paulus aber sprach zu ihnen: Sie haben uns ohne Recht und Urteil öffentlich geschlagen, die wir doch römische Bürger sind, und in das Gefängnis geworfen, und sollten uns nun heimlich fortschicken? Nein! Sie sollen selbst kommen und uns hinausführen! … Da fürchteten sie sich. (Apg 16, 35-38)
AMEN.
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