
04/07/2025 0 Kommentare
Krieg, Frieden, Versöhnung – weshalb wir uns erinnern müssen
Krieg, Frieden, Versöhnung – weshalb wir uns erinnern müssen
# KGV & M | Aktuelles für Innenstadtverband und Marien

Krieg, Frieden, Versöhnung – weshalb wir uns erinnern müssen
Warum müssen sich Menschen an Krieg erinnern – und warum lernen sie nicht aus den schrecklichen Erfahrungen? Diese Fragen beschäftigen den Hamburger Fotografen Harald Schmitt seit Langem. In den vergangenen fünf Jahren bereiste er 22 Länder und legte über 40.000 Kilometer zurück – immer auf der Suche nach Zeichen der Versöhnung. Er war an historischen Orten, zwischen Menschen, auf Friedhöfen und in Wäldern. „Ich bin seit fast 50 Jahren Fotoreporter“, berichtet Harald Schmitt. „Es geht mir um die Menschen – um ihre Sicht auf die Dinge, ihre Erfahrungen. Ich suche die Versöhnung, um inmitten des Schreckens des Krieges ein Stück Menschlichkeit zu finden. Und damit Hoffnung.“
Einhundert Fotografien
Im Gedenkjahr zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs ist die Ausstellung, die von der S. Fischer Stiftung und der Possehl-Stiftung gefördert wird, mit den rund einhundert klein- und großformatigen Fotografien aktueller denn je. Zu sehen ist sie bis Ende Juli in St. Marien; die Vernissage findet am 8. Juli um 18 Uhr statt.

Menschen aufrütteln
Schon während des Aufbaus blieben Kirchenbesucher:innen stehen, betrachteten die teils noch am Boden liegenden Bilder – zur Freude des Fotografen: „Ich will aufrütteln, ich will die Menschen erreichen.“ Ihn selbst könne nichts mehr schockieren – zu viel habe er gesehen. „Ich war bei fünf Kriegen direkt vor Ort: in Vietnam, Nordirland, Simbabwe (ehemals Rhodesien), Namibia und Kambodscha.“
Ehemalige Erzfeinde
Auch die beiden Weltkriege haben Harald Schmitt intensiv beschäftigt – besonders die einstige Feindschaft zwischen Deutschland und Frankreich und der Wert der heutigen europäischen Einheit: „Eines meiner Lieblingszitate stammt von Jean-Claude Juncker: ‚Wer an Europa zweifelt, wer an Europa verzweifelt, der sollte die Soldatengräber besuchen.‘“, so Schmitt. „Meiner Meinung nach wurden die ersten Schritte zur europäischen Einigung bereits mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges gesetzt.“
Mut und Geduld
Auf seiner Suche nach Versöhnung besuchte Schmitt die Strände der Normandie und die riesigen Soldatenfriedhöfe im Hinterland. Drei Mal war er in Verdun – dort starben im Ersten Weltkrieg innerhalb von 300 Tagen etwa 300.000 Soldaten, weitere 450.000 wurden verletzt. „Eben dort trafen sich 1984 der französische Staatspräsident François Mitterrand und Bundeskanzler Helmut Kohl und erklärten: ‚Wir haben uns versöhnt. Wir haben uns verständigt. Wir sind Freunde geworden.‘

Das war nicht selbstverständlich, sondern ein harter Prozess: Hass und Vorurteile zwischen Völkern zu überwinden, verlangt Mut und Geduld. Vertrauen wächst über Gräbern und Grenzen nur langsam“, sagt Schmitt und blickt auf ein symbolträchtiges Schwarz-Weiß-Foto der beiden Staatsmänner.
Zeichen der Versöhnung weltweit
Auch das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig, das Hermannsdenkmal bei Detmold, hasserfüllte Graffiti an Häusergiebeln entlang der nordirischen Grenze sowie die englische Stadt Coventry hat Schmitt dokumentiert. Coventry wurde durch deutsche Luftangriffe stark zerstört und setzt sich seit dem Kriegsende für weltweite Versöhnung zwischen einstigen Feinden ein. Ein Symbol dafür sind die „Nagelkreuzzentren“, die es heute weltweit gibt – seit 1971 zählt auch St. Marien zu Lübeck dazu. An mehr als 60 Orten in Deutschland und über 160 weltweit wird regelmäßig freitags um 12.05 Uhr in einer Gedenkstunde an die Bombardierung der Stadt durch die deutsche Luftwaffe („Operation Mondscheinsonate“) erinnert.
Zeremonien des Friedens
Weitere Zeichen der Versöhnung fand Schmitt in Lourdes: Seit 1956 treffen sich Soldaten aus vielen Ländern, um gemeinsam zu beten, sich sportlich zu messen und einander zu begegnen. In Monte Cassino, Italien, machten deutsche und polnische Schüler:innen die Namen gefallener deutscher Soldaten auf den Grabsteinen wieder lesbar. Und in einem Waldstück in Franken, an der Grenze zu Tschechien, liegen zwei unbekannte französische Soldaten begraben – gefallen 1813. Seit über 200 Jahren kümmern sich Anwohner:innen um ihre Gräber.
Buch zur Ausstellung
Begleitend zur Ausstellung erschien das Buch „Krieg, Frieden, Versöhnung“, ein Fotoessay von Harald Schmitt, im Sandsterin Verlag Dresden.
Zur Person: Harald Schmitt, geboren 1948, war von 1975 bis 2010 Fotoreporter des Hamburger Magazins Stern und wurde sechs Mal mit dem renommierten World Press Photo Award ausgezeichnet. Seit 2015 unternahm er mehrere Fotoreisen durch 22 osteuropäische Länder. Er lebt mit seiner Frau, einer Gemälderestauratorin, in Hamburg. Mehr Infos gibt es unter www.harald-schmitt.com.
Titelfoto: Harald Schmitt vor dem Foto des Hermannsdenkmals bei Detmold am Anfang der Ausstellung.
1. Foto im Text: Fotograf Harald Schmitt beim Aufbau seiner Ausstellung „Krieg, Frieden, Versöhnung – weshalb wir uns erinnern müssen“ in St. Marien zu Lübeck.
2. Foto im Text: Sie schrieben Geschichte: Altbundeskanzler Helmut Kohl und der ehemalige französische Staatspräsident François Mitterrand trafen sich auf einem der Soldatenfriedhöfe in Frankreich und sendeten Zeichen der Versöhnung in die Welt.
Kommentare