11/05/2025 0 Kommentare
Grundlos jubeln - Predigt zum Sonntag Jubilate
Grundlos jubeln - Predigt zum Sonntag Jubilate
# D | Predigten

Grundlos jubeln - Predigt zum Sonntag Jubilate
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
"Jubilate! Jubelt!" – Dazu soll ich mich an diesem Sonntag aufgefordert fühlen. Jubelt! Und ich merke: Ich bin noch gar nicht in Jubelstimmung. Also mache ich mich auf die Suche. Wenn ich jubeln soll, dann brauche ich einen Grund dazu. Also gehe ich die vergangenen Tage durch:
Da ist der Kirchentag vergangene Woche in Hannover. Zehntausende Menschen singen gemeinsam "Mutig, stark, beherzt" – und ich spüre etwas. Da ist Mut, da ist Gemeinschaft, Aufbruchsstimmung. Und für einen Moment ist da vielleicht auch ein Hauch von Jubel.
Dann höre ich von einer neuen Bundesregierung, die sich gebildet hat. Nach langen Diskussionen und Verhandlungen endlich ein Durchbruch. Auch das könnte Jubel auslösen, wenn Menschen zusammenfinden, wenn Politik handlungsfähig wird.
Am Donnerstag sehe ich im Fernsehen: "Habemus Papam". Ein neuer Papst grüßt die Welt mit den Worten "Friede sei mit euch". Ich nehme wahr, wie der Jubel auf dem Petersplatz ausbricht. Viele unserer katholischen Schwestern und Brüder haben darauf gewartet. Ein Neuanfang und vielleicht sogar ein wenig Hoffnung. Jubel?
Und dann kommt da noch am gestrigen Abend ein Sportereignis hinzu: Der HSV steigt wieder auf. Fanjubel, Freudentränen – endlich wieder Erste Liga! Da ist er wieder, der menschliche Jubel der Menschen, für die der Sport manchmal so viel bedeutet.
Es gibt ihn, den Jubel, ich kann ihn finden. Aber wenn ich mal ehrlich bin, bleibt er nie wirklich lange. Er ist flüchtig, abhängig von Menschen, Situationen, von Erfolgen, von meinem Dazutun, vom Moment. Juble ich falsch? Bin ich nicht begeisterungsfähig genug? Bin ich zu pessimistisch oder gibt es einfach zu wenig Gründe zum Jubeln in dieser Welt?
Der Jubel, den ich finde, ist menschlich. Er ist emotional, spontan, ereignisbezogen, manchmal laut, manchmal still, fast immer eine Reaktion auf ein konkretes Ereignis.
Er lebt vom Ereignis, vom Außergewöhnlichen, von meiner unaufhörlichen Suche nach ihm, und vom Durchbruch. So ist menschlicher Jubel halt. Aber: Dieser Jubel trägt mich nicht dauerhaft, kann er auch gar nicht. Ein Kirchentag geht vorüber, eine Bundesregierung wird abgelöst von einer anderen, ein Papst kann nicht alle Hoffnungen von Millionen Menschen erfüllen und ein Fußballverein… Und dennoch ist dieser Jubel wohltuend, er verbindet mich mit anderen Menschen, ist gut für meine Seele, wenn auch nur für einen Moment. Dieser Jubel verändert vielleicht den einen Moment aber nicht zwingend mein ganzes Leben. Ist das der Jubel, zu dem wir am heutigen Sonntag aufgefordert sind? Ich suche weiter.
Und ich begegne dem biblischen Text für den heutigen Sonntag. Ein seltsamer Text. Keine Auferstehungserzählung, obwohl wir doch gerade noch Ostern gefeiert haben. Keine Ermahnung, keine inspirierende Geschichte von diesem Jesus, der Menschen jubeln lässt. Sondern eine Stimme, die sich selbst vorstellt: Die Weisheit – eine selten vernommene biblische Stimme, die sich im Buch der Sprüche aber auch anderen wiederfindet. Diese Weisheit hat uns etwas zu sagen – will unseren Blick auf Gott und diese Welt weiten. Ich lese aus Sprüche 8,22-32:
22 Der HERR hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her. 23 Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde war. 24 Als die Tiefe noch nicht war, ward ich geboren, als die Quellen noch nicht waren, die von Wasser fließen. 25 Ehe denn die Berge eingesenkt waren, vor den Hügeln ward ich geboren, 26 als er die Erde noch nicht gemacht hatte noch die Fluren darauf noch die Schollen des Erdbodens. 27 Als er die Himmel bereitete, war ich da, als er den Kreis zog über der Tiefe, 28 als er die Wolken droben mächtig machte, als er stark machte die Quellen der Tiefe, 29 als er dem Meer seine Grenze setzte und den Wassern, dass sie nicht überschreiten seinen Befehl; als er die Grundfesten der Erde legte, 30 da war ich beständig bei ihm; ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit; 31 ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern. 32 So hört nun auf mich, meine Söhne! Wohl denen, die meine Wege einhalten!
Ein seltsamer Text für den heutigen Sonntag, der uns zum jubeln bringen soll! Hier jubelt jemand anders und jemand anderes. Nicht ein einzelner Mensch, nicht eine ganze Nation, nicht ein Stadion. Hier jubelt die Weisheit Gottes selbst, mit einer Erkenntnis, die schon immer da war: Der HERR hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her. Und ihr Jubel ist vorauslaufend: noch bevor es die Welt gab, war sie da. Der Jubel ist allumfassend, er nimmt die ganze Erde in den Blick: Die Berge, der Himmel, die Wolken, die Quellen, das Meer, die Grundfesten der Erde. Dieser Jubel ist spielerisch und staunend: „Ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern.“ Diese Erkenntnis spielt vor Gott, erfreut sich an seinem Handeln auf dem Erdkreis, seine Menschenkinder eingeschlossen! Der Jubel der Weisheit ist nachdenklich, kontemplativ: Die Freude kommt wird nicht von außen an sie herangetragen, sondern aus dem Dasein selbst. Dieser Jubel ist dauerhaft: Es ist kein emotionaler Ausbruch, sondern ein Grundton, der immer mitschwingt: „da war ich beständig bei ihm; ich war seine Lust täglich“
Das ist ein anderer Jubel. Er ist nicht vom Ereignis abhängig, sondern von einer Erkenntnis: Diese Welt ist gewollt. Sie ist mit Weisheit geordnet. Sie ist kein Zufall. Sie ist Gottes geliebte und geordnete Schöpfung.
Ich finde das berührend. Als Mensch suche ich permanent nach einem Grund zum Jubel, zur großen Freude, zum nächsten emotionalen Höhenflug. Die Weisheit zeigt mir: Du darfst auch grundlos jubeln. Weil du Teil einer Schöpfung bist, die spielend geschaffen wurde. Weil du gewollt bist. Einfach so.
Und dann ist da Ostern. Das, was Gott am Anfang Gutes in die Schöpfung gelegt hat, wird in Christus neu: "Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden." (2. Kor 5,17)
Mit Ostern darf ich die Welt mit neuen Augen sehen. Ich darf jubeln, nicht weil alles perfekt ist, nicht weil ich perfekt bin, sondern weil Gott mir einen neuen Blick schenkt: auf mich, auf die Welt, auf das Leben. „Siehe“ sagt der Wochenspruch, „Sieh nur genau hin!“ Wenn wir in Christus bleiben, dann sollen wir Anteil an der weltverändernden Kraft Gottes haben. Der Jubel, der aus dieser Erkenntnis entsteht ist tiefgründiger, allumfassender, nachdenklich, von Dauer.
Und wie sieht dieser Jubel dann in mir aus? Wie juble ich denn jetzt, wenn nicht mit 50.000 Menschen auf dem Kirchentag oder im Stadion? Vielleicht helfen uns einige Liedzeilen, die ein gewisser Paul Gerhardt 1653 verfasst hat.
Du meine Seele, singe, wohlauf und singe schön dem, welchem alle Dinge zu Dienst und Willen stehn. Ich will den Herren droben hier preisen auf der Erd; ich will Ihn herzlich loben, solang ich leben werd.
Diese Zeilen sind nicht laut, nicht schrill, sondern nachdenklich, leise, schön. Sie haben keinen konkreten Anlass sondern beziehen sich auf „alle Dinge“. Sie besingen keinen konkreten kurzweiligen Moment sondern sollen von Dauer sein: „Ich will Ihn herzlich loben, so lang ich leben wird“
Man kann gar nicht genug hervorheben, wie durchdacht, kreativ und sinnstiftend die Worte sind, die Paul Gerhardt für seinen Jubel gefunden hat. Es sind Worte, die vielleicht einen andere – grundlose Form von Jubel ausdrücken. Paul Gerhardt jubelt und wir jubeln im Anstimmen dieses Liedes mit. Es sind Worte, die für Generationen Ausdruck von Dankbarkeit und Ehrfurcht vor Gott und seiner Schöpfung geworden sind und bleiben. Und so schließt Paul Gerhardt mit einem einzigartigen Jubelruf. Nicht einem, der über andere lauthals triumphiert, sondern sich klein macht, ehrfürchtig nach oben schaut und sein kleines eigenes Leben in die wohlgeordnete Schöpfung Gottes stellt. Einer, der grundlos jubelt über Gott und sein eigenes Dasein:
Ach ich bin viel zu wenig, zu rühmen Seinen Ruhm; der Herr allein ist König, ich eine welke Blum. Jedoch weil ich gehöre gen Zion in Sein Zelt, ist's billig, dass ich mehre Sein Lob vor aller Welt.
Wir sind Teil von Gottes Schöpfung, wir dürfen über sie staunen und wir dürfen jubeln. Und weil eben auch wir für immer in Zions Zelt gehören, lade ich sie nun ein, dieses Lied mit mir anzustimmen: Lassen sie uns grundlos jubeln! Amen.
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