15/12/2025 0 Kommentare
Grundlegende menschliche Anständigkeit und Mitgefühl: Predigt zum 3. Advent von Pastorin Lilly Schaack im Dom
Grundlegende menschliche Anständigkeit und Mitgefühl: Predigt zum 3. Advent von Pastorin Lilly Schaack im Dom
# D | Predigten

Grundlegende menschliche Anständigkeit und Mitgefühl: Predigt zum 3. Advent von Pastorin Lilly Schaack im Dom
Predigt am 3. Advent 2025
Lukas 3,3-14.18 Dom zu Lübeck
Otterngezücht und Schlangenbrut – Liebe Gemeinde,
Viel sind wir gewöhnt im Advent. Kauzige Fabelwesen, die plötzlich in unseren Straßen, Fenstern und Wohnzimmer auftauchen. Wichtel und Weihnachtsmänner, Engel und Nikoläuse und – für die kritischen Geister – der Grinch und Dickens‘ Ebenezer Scrooge. Aber ein Mann im Kamelhaarmantel, der in der Wüste lebt, sich von Heuschrecken ernährt und seine Gemeinde mit „Otterngezücht“ bzw. „Schlangenbrut“ anspricht – das ist nicht unsere typische Weihnachtsfigur. Und doch: es ist unser Mann für den dritten Advent. Johannes der Täufer ist traditionell Thema dieses Adventssonntags.
Und seine Predigt ist eben deutlich und streng. Otterngezücht, so nennt er die Menschen, die zu ihm kommen – und damit sind nicht die niedlichen Tiere gemeint, die beim Rückenschwimmen gerne Händchen halten. Sondern: Schlangen, giftige Schlangen. Eine Beleidigung also. Und es geht weiter. Johannes sagt:
Wer hat Euch denn gewiss gemacht, dass ihr dem zukünftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage Euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. Und jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.
Klingt wenig besinnlich. Und wenig hoffnungsfroh. Wer von Ihnen würde sonntagmorgens früh aufstehen, um sich so etwas in der Kirche sagen zu lassen?
Der Evangelist Lukas berichtet, dass die Menschen vor knapp zweitausend Jahren in Scharen zu Johannes an den Jordan kamen, um sich taufen zu lassen. Auch Jesus von Nazareth. Ich frage mich: Wieso? Warum machen die das?
Weiter fällt mir auf, dass Lukas die Predigt des Johannes auf seltsame Weise zusammenfasst. Er schreibt: Dieses und noch vieles mehr schärfte er dem Volk ein und verkündigte die frohe Botschaft.
Das Einschärfen habe ich deutlich vernommen. Aber die frohe Botschaft? Wo war die denn in dem Ganzen?
Johannes apokalyptische Rede scheint nicht in den Advent zu passen. Weder ist sie gemütlich noch besinnlich noch besonders herzerwärmend. In unsere Zeit passt sie trotzdem. Denn auch bei uns nimmt die Rede von der Endzeit wieder zu. Auch heute reden wir von Umbruch, von Zeitenwende, vom Ende alter Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten. Dass sich etwas ändern muss, da sind sich viele einig – aber wie und durch wen, darüber herrscht Streit.
Auch Johannes‘ Zeiten waren politisch aufgeheizt, im Israel unter römischer Besatzung. Aber seine Predigt ruft weder zum Aufruhr auf noch hetzt sie gegen die Römer. Johannes macht klar: Wer Veränderung will, muss bei sich selbst anfangen. Jeder und jede Einzelne. Selbst Status und bestimmte Gruppenzugehörigkeiten nehmen uns nicht davon aus, dass wir selbst anders werden müssen.
Es ist leicht, auf „die da oben“ zu wettern, die Probleme der Zeit der Politik oder den Besatzern anzukreiden oder darauf zu verweisen, dass sowieso schon alles im Eimer und unsere Welt viel zu komplex sei, als dass der Einzelne noch etwas ausrichten könne.
Bei der Politikwissenschaftlerin und Zukunftsforscherin Florence Gaub liest man hingegen: „Die Zukunft ist keine ferne Zeit, sondern etwas, das alle Menschen ständig erzeugen.“ Es ist „ein Irrglaube, dass die größere, kollektive Zukunft sich grundlegend von der kleinen persönlichen Zukunft unterscheidet. (…) Alle Zukünfte sind miteinander verbunden.“[1]
Wer Veränderung will, kann bei sich selbst anfangen. Genau deshalb ruft Johannes in die Wüste – nicht zum Rückzug und zum Kopf-in-den-Sand-Stecken, sondern zur Klarheit. Damit Menschen erkennen: Der Weg für Gott wird frei, wenn wir selbst uns bewegen.
Wenn Johannes die Menschen im Jordan untertaucht, ist das zu damaliger Zeit kein ganz ungefährliches Unterfangen. Die Menschen mussten vertrauen, dass Johannes sie im Griff hat, sie wieder rauszieht, auch wenn der Boden wegrutscht und sie nicht schwimmen können.
Aber genau darum ging es Johannes: Umkehr im eigenen Leben, sich wirklich ändern, das kostet auch etwas. Man verliert auch etwas. Sicherheiten, Glaubenssätze und Routinen. Vielleicht auch manche Privilegien. Aber manches muss man eben loslassen und verlieren, um Heil zu finden und heil zu werden.
Einer, der den Menschen klare Ansagen macht, aber ihnen auch zutraut, dass sie sich ändern können und der sie hält auf ihrem Weg, so einer ist Johannes. Er gibt den Menschen einen Ort, die Wüste und den Fluss, für ihre Umkehr. Wenn das mal keine frohe Botschaft ist!
Die Menschen, die zu Johannes kommen, verstehen das offenbar. Und mehr noch: Sie fordern es sogar ein. Dreimal fragen sie im Predigttext: „Was sollen wir denn tun?“ Sie fragen jeweils als Gruppe, als Zöllner, als Soldaten, sie fragen aus ihrem jeweiligen Einfluss- und Wirkbereich heraus. Und Johannes antwortet ganz konkret: „Fordert nicht mehr als Euch vorgeschrieben ist“, sagt er den Zöllnern.
„Tut niemandem Unrecht!“, fordert er von den Soldaten. „Wer zwei Hemden hat, gebe dem, der keine hat!“, mahnt er die Wohlhabenden.
Wenn man genau hinschaut, ist es eigentlich sehr wenig, was Johannes fordert. Johannes Moralpredigt ist im Anspruch weit entfernt zum Beispiel von Jesu Forderungen nach Feindesliebe und der anderen Wange. Was Johannes einfordert, ist grundlegende menschliche Anständigkeit und Mitgefühl, the bare minimum, wie man heute sagt. Nicht stehlen, nicht hauen. Teilen, wenn man etwas zu teilen hat. Seine Privilegien checken.
All das sollten Selbstverständlichkeiten sein. Sie waren es damals nicht. Wenn heute ein amerikanischer Tech-Milliardär öffentlich sagt die fundamentale Schwäche der westlichen Gesellschaften sei ihre Empathie[2], ist klar: grundlegende Anständigkeit ist bis heute keine Selbstverständlichkeit.
Jemand wie Johannes, der das klar benennt, der sich traut, derartige Lieblosigkeit klar zu benennen und anzuprangern, der ist selbst eine frohe Botschaft für die Welt. Ein weiterer Grund wahrscheinlich, weshalb die Menschen zu ihm kamen.
Wir sind viel gewöhnt im Advent. Weihnachtswichtel und Last Christmas.
Den bärtigen Mann mit seiner ernsten Predigt, der uns beleidigt und im Fluss untertauchen will, den sind wir nicht gewöhnt. Vielleicht sollen wir uns auch nicht gewöhnen. Sondern achtsam bleiben dafür, wo wir Gott Wege schaffen können in unser Leben. Achtsam für die Chancen, anders und neu zu werden.
Adventlich leben ist eben nicht nur Andacht und Gemütlichkeit. Es geht auch um konkretes Verhalten, Verantwortung und Solidarität in der Welt. Was sollen wir tun? Für diese Frage steht Johannes. Er ist unser Mann für diesen dritten Advent – ernst, klar und hoffnungsvoll.
Amen
[1] Florence Gaub: Zukunft. Eine Bedienungsanleitung, München 2023, S. 8f.
[2] Vgl. Zachary B. Wolf: „Elon Musk wants to save Western civilization from empathy“, CNN Politics, 05.03.2025,
zuletzt abgerufen am 14.12.2025, https://edition.cnn.com/2025/03/05/politics/elon-musk-rogan-interview-empathy-doge.
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