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Feuer und Flamme - Predigt von Vikar Per Olsen

Feuer und Flamme - Predigt von Vikar Per Olsen

Feuer und Flamme - Predigt von Vikar Per Olsen

# D | Predigten

Feuer und Flamme - Predigt von Vikar Per Olsen

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

„Herr, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich.“

Mit diesen Worten aus dem heutigen Predigttext klagt der Prophet Jeremia Gott sein Leid – oder mehr noch: Jeremia klagt nicht nur über sein Leid, vielmehr klagt er Gott direkt als Ursprung seiner Situation an! „Du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen.“ Normalerweise klagen wir Gott unser Leid – was uns widerfährt, unsere Sorgen und Nöte. Gott als Überredungskünstler für eine Sache, die ich im Nachhinein auch noch bereue, ist doch eher ungewöhnlich. Dass man sich zu etwas überreden lässt, das sich im Nachhinein als keine gute Idee entpuppt, kennen wir eher aus zwischenmenschlichen Situationen, wie z. B. dem Druck einer Gruppe (ich persönlich erinnere mich an eine eingeschmissene Fensterscheibe).

Jeremia aber zeichnet hier ein anderes Bild: Gott ist derjenige, der ihn überredet, der gegen ihn „gewonnen“ hat. Ein Gott, der ihn zwingt, etwas zu tun, das er nicht tun will, und dabei auch noch in Kauf nimmt, dass er dafür verspottet wird?

Wozu aber hat Gott Jeremia überredet? Das erfahren wir im Folgenden:

„Denn sooft ich rede, muss ich schreien: ‚Frevel und Gewalt!‘ muss ich rufen. Denn des Herrn Wort ist mir zu Hohn und Spott geworden täglich. Da dachte ich: Ich will seiner nicht mehr gedenken und nicht mehr in seinem Namen predigen.“

Da entzieht sich jemand wie Jeremia ausgerechnet dem Druck der Masse – nicht aus Angst vor ihr, sondern weil er sich durch Gottes Wort verpflichtet fühlt, Unrecht und Gewalt zu benennen. Gottes Wort, das doch eigentlich Mut machen, den Kreislauf aus Chaos und Gewalt durchbrechen und Unrecht in Gerechtigkeit verwandeln soll. Das alles nimmt sich Jeremia in seiner Rolle als Prophet zu Herzen. Und was ist die Konsequenz? Hohn und Spott – täglich!

Das kann einen nachvollziehbar zermürben und niederdrücken – auch einen Mann Gottes, wie Jeremia. Er will nicht mehr! Fortan will er Augen und Ohren verschließen, nicht mal mehr an Gott denken und einfach mal die Klappe halten – aus Angst vor den Konsequenzen. Wer hat nicht schon einmal einen ähnlichen Impuls verspürt:

    Ich sage nichts, wenn ein Kollege ungerecht behandelt wird, aus Angst davor, dass auch mir Unrecht widerfährt.

    Ich bleibe stumm, wenn eine Mitschülerin täglich unter Mobbing leidet, weil es auch mich treffen könnte.

Oder aus Erschöpfung:

    Ich habe keine Worte mehr für die Geschmacklosigkeiten und die Menschenverachtung, die aus manchen politischen Lagern zu mir durchdringen.

    Ich weiß nicht mehr, was ich zu dem schier endlosen Leid im Nahen Osten, im Kongo, in der Ukraine und an anderen Orten noch sagen soll.

Uns geht es manchmal nicht anders als Jeremia, der sich ohnehin für zu jung für seine Aufgabe hält, wie wir ein paar Zeilen vorher lesen können. Und auch über die anderen Propheten des Alten Testaments lesen wir, dass niemand wirklich von Anfang an so begeistert von seiner eigenen Berufung durch Gott war – im Gegenteil! Viele wehren sich aktiv gegen ihre Berufung:

Da ist Mose, der von sich behauptet, er sei doch gar nicht so redegewandt. Oder Jesaja, der sagt, er sei des Amtes nicht würdig. Oder Jona, der einfach keine Lust hat und stattdessen auf Reisen geht. Sie alle haben sich am Anfang geweigert, Gottes Ruf zu folgen – und wer könnte es ihnen verübeln?

Es ist nicht immer einfach, prophetisch zu reden – auch oder erst recht in einer Zeit wie dieser, die so dringend prophetische Stimmen bräuchte. Das, was wir sehen, darf doch nicht wahr sein, kann doch nicht so bleiben! Aber wer bin ich, dass ich etwas daran ändern könnte? Was riskiere ich, wenn ich jetzt den Mund aufmache?

„Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, verschlossen in meinen Gebeinen. Ich mühte mich, es zu ertragen, aber konnte es nicht. Denn ich höre, wie viele heimlich reden: ‚Schrecken ist um und um!‘“

Jeremia hält es nicht mehr aus. Da ist etwas, was er in seinem Herzen spürt – etwas, das stärker ist als seine Angst. Er kann gar nicht richtig benennen, was es ist, aber es fühlt sich an wie ein brennendes Feuer, und dieses Feuer muss raus!

Aus Jeremia bricht es also nun doch wieder heraus. Vielleicht, weil das Unrecht am Ende doch zu groß ist, vielleicht aber auch, weil das innere Feuer größer ist: Das Gerechtigkeitsempfinden, die Vorstellung davon, dass alle Menschen gleich und geliebt bei Gott sind, die unbezwingbare Hoffnung, dass Gott in dieser Welt wirkt und sie heller machen will. Jeremia muss schon früher Feuer gefangen haben, das nun auflodert und ihm neue Kraft gibt – etwas, das bereits in ihm steckt, bevor er das Unrecht wahrnimmt. Das ist der Sieg, den Gott bereits über Jeremia errungen hat.

Und wir? Wofür sind wir schon längst Feuer und Flamme? Wo schlummert in uns dieses Gefühl, dass diese Welt nicht so bleiben darf, wie sie ist, und dass sie auch nicht so bleiben muss? Wo begreifen wir uns selbst als Teil der Lösung, anstatt nur das Problem zu beschreiben und tatenlos daneben zu stehen? Wer Feuer und Flamme für etwas ist, der kann gar nicht anders, als aktiv zu werden und aus sich selbst herauszukommen!

So wie Jeremia und all die anderen Propheten sollten auch wir in unser Herz schauen und sehen, ob da nicht längst etwas lodert, das diese Welt braucht. Und wenn wir es entdecken, dann kann uns auch nicht mehr schrecken, welche Konsequenzen es hat, wenn wir wie Jeremia den Mund aufmachen und Unrecht benennen.

Denn bei Jeremia heißt es weiter:

„Verklagt ihn! Wir wollen ihn verklagen! Alle meine Freunde und Gesellen lauern, ob ich nicht falle: ‚Vielleicht lässt er sich überlisten, dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen.‘“

Wer Feuer und Flamme ist, gewinnt neue Kraft und neuen Mut – auch gegen kleine und große Widerstände. Dann bleibt es nicht nur bei Worten, dann nimmt das Feuer Gestalt an. Dieses Feuer kann zunächst eine ganz kleine Flamme sein – eine Kerze und ein Gebet hier am Lichteraltar für jemanden, der unsere Wärme braucht. Und dann gibt es die Flammen, die übergreifen auf unseren Nächsten und etwas in Bewegung setzen, das niemand für möglich gehalten hat.

Ich denke da an die Friedensgebete 1989 in der Nikolaikirche in Leipzig, wo schließlich an einem Montag im Oktober 70.000 Kerzen eine Diktatur ins Wanken brachten. „Wenn man eine Kerze trägt, braucht man beide Hände. Man muss das Licht behüten, vor dem Auslöschen schützen“, erinnert sich später der evangelische Pfarrer Christian Führer. Wenn Menschen Feuer und Flamme für etwas sind, das Gott ihnen ans Herz gelegt hat, dann kann daraus Großes entstehen, mit dem niemand gerechnet hat, so auch nicht das SED-Regime: „Wir hatten alles geplant. Wir waren auf alles vorbereitet. Nur nicht auf Kerzen und Gebete“.

„Aber der Herr ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen.“

Und dann geschehen Wunder, weil die Zweifler nicht gewinnen:

    Dann können wir den Streit beilegen, weil nicht Zwietracht, sondern Gott gewinnt.

    Dann können wir einem Kollegen oder einer Mitschülerin beistehen, weil nicht die Häme, sondern Gott gewinnt.

    Dann können wir darauf hoffen, dass die Gewalt in Teilen dieser Erde eines Tages ein Ende nimmt, weil nicht der Hass, sondern Gott gewinnt.

„Der Herr ist mir ein starker Held!“

Dieser starke Held wird Mensch in Jesus Christus, kommt auf die Erde, um Heilung zu bringen und Hoffnungslosigkeit zu überwinden. Dieser starke Held spricht Dinge aus, geht zu denen, zu denen niemand geht, und geht dafür schließlich ans Kreuz.

Doch dieser starke Held macht sich verletzlich und leidet mit – das machen wir uns in dieser Passionszeit bewusst: Wir werfen jetzt einen Blick auf die Dunkelheiten der Welt und bringen sie vor Gott, der schon immer für diese Welt Feuer und Flamme war, ist und bleiben wird.

Amen.

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