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Es ist vollendet. Predigt zu Karfreitag

Es ist vollendet. Predigt zu Karfreitag

Es ist vollendet. Predigt zu Karfreitag

# D | Predigten

Es ist vollendet. Predigt zu Karfreitag

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

„Es ist vollbracht!“

Drei Worte Jesu am Kreuz. Kurz. Schlicht. Klar. Kein verzweifelter Schrei, wie wir ihn bei Markus lesen. Kein Ruf: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, wie wir ihn bei Matthäus vernehmen. Bei Johannes hören wir diese Worte nach dem schlimmen Verrat, seiner Verhaftung und Verurteilung, nach seinen Qualen am Kreuz und dem Spott der Umherstehenden: „Es ist vollbracht.“ Diese drei Worte klingen nicht nach Verzweiflung oder Aufbegehren. Sie klingen nach jemandem, der mit ruhiger Klarheit etwas zu Ende bringt. „Jetzt ist es gut.“

Es ist vollbracht.

Jesus spricht nicht von einer Aufgabe, die jetzt irgendwie abgeschlossen wurde, sondern von einer tiefen Vollendung, die sich wie ein roter Faden durch alles zieht, was er auf dieser Erde getan hat. Bei Johannes geschieht vieles, was Jesus tut, „damit die Schrift erfüllt werde“. Diese Worte zeigen eine tiefere Dimension auf: Alles ist gehalten. Geordnet. Umfangen. Sogar in der Katastrophe, im Chaos, in den zerplatzten Hoffnungen der Menschen auf den Messias – sogar in diesem Unglück, das da am Kreuz geschieht, bleibt etwas wie Sinn.

Es geht nicht alles gut. Aber in diesem Moment, an diesem Karfreitag, in der tiefsten Erniedrigung geht alles zurück zu Gott – so, wie es ist.

Im griechischen Original verwendet Johannes das Wort „τετέλεσται“. Etwas ist vollendet, ans Ziel gekommen, abschließend geschehen – und zwar mit bleibender Wirkung. Etwas bleibt vollendet. Nicht nur jetzt, sondern für immer. Nichts muss dem mehr hinzugefügt werden. Das Unperfekte, Verstörende und Schmerzliche ist vollendet – so, wie es jetzt ist.

Eine Vorstellung, die uns 2000 Jahre später sehr fremd geworden ist. Die Welt, in der wir leben, strebt nach Perfektion, nach einem Bild von einem fehlerlosen Leben, einem perfekten Ich. Der Perfektionismus beherrscht oft unseren Alltag. Und das Streben nach Perfektion ist ja nicht per se etwas Schlechtes, denn es kann einen Menschen zu guten Leistungen  antreiben.  Der Wunsch nach Vollkommenheit hat schon immer Menschen fasziniert – ob in der Kunst, der Musik oder der Wissenschaft. Wer möchte nicht am Ende seiner Arbeit mit einem zufriedenen Lächeln dastehen und sagen können: „Es ist vollbracht! Jetzt ist es gut – so wie es ist.“

Doch was passiert, wenn Perfektionismus unfrei macht, weil Menschen nicht mehr von dem Wunsch nach dem Vollkommenen, sondern aus Angst vor Fehlern getrieben werden? Was passiert, wenn die Angst vor dem Versagen mich ständig begleitet, mich zu einem ständigen Überbieten meiner eigenen Leistungen antreibt, ohne dass ich einen tatsächlichen Erfolg. Was ist, wenn ich das Leben nicht mehr genießen kann, weil ich permanent meinen eigenen Ansprüchen hinterherhinke? Was ist, wenn ich als kranker Mensch das Gefühl bekomme, mein Können passt nicht mehr in eine perfektionistische Welt?

Perfektion kann krank machen. Sie kann Menschen ausbrennen. Wenn der Druck zu hoch wird, zerbricht der Mensch. Und nicht nur der einzelne Mensch – auch die Perfektion einer ganzen Gesellschaft kann krank machen. Wir sehen es in den sozialen Medien, die uns perfekte Körper, perfekte Lebensmodelle und perfekte Beziehungen verkaufen – und unser eigenes unperfektes Leben schmerzhaft infrage stellen. Ein Körperkult, der dazu führt, dass Menschen sich selbst nicht mehr als wunderbare Geschöpfe Gottes wahrnehmen, trennt mich von Gott.

Eine überhöhte Erwartungshaltung kann jede Form der Beziehungen überfordern und am Ende dazu führen, dass wir uns zurückziehen, beziehungsunfähiger werden, weil wir uns selbst oder unser Gegenüber als defizitär betrachten. Diese Form der Perfektion trennt mich von meinem Nächsten.

Wir leben bereits in einer solch perfektionistischen Welt, in der der Körper perfekt sein muss, in der Beziehungen stets harmonisch und konfliktfrei sein sollten, in der jede politische Entscheidung „die“ Lösung für alle Probleme verspricht – und doch bleiben wir zu oft am Ende erschöpft und enttäuscht zurück.

Denn: Das Leben ist nicht perfekt. Wir sind nicht perfekt. Das menschliche Leben ist voller Unvollkommenheiten und voller Fehler. Und doch sind diese Fehler und diese Unvollkommenheiten ein Teil von uns. Sie gehören zu unserem Menschsein. Allein Tatsache, dass wir sterblich sind, ist das Unperfekteste überhaupt. Der Tod kann erschreckend, rätselhaft, erschütternd sein, er gehört aber zu unserem Leben. So hat Gott uns nicht nur geschaffen – er ist in Jesus Christus selbst Mensch geworden, der einen menschlichen und noch dazu einen schmerzhaften Tod stirbt.

„Es ist vollbracht.“ Das klingt so anders. Da ist keine Forderung. Kein Zwang. Wenn etwas vollbracht ist, braucht es nichts mehr hinzu. Es ist abgeschlossen – so, wie es ist. Und so dürfen wir heute, am Karfreitag, bei diesem Kreuz innehalten.

Alle Dinge, die uns belasten, überfordern, die uns fehlen, die uns schmerzen, dürfen wir an das Kreuz bringen – zu dem, der schon dort ist und uns nicht allein lässt. Was wir nicht vollbringen können, was wir nicht ändern können, was uns zu Boden drückt – es ist jetzt da, bei Gott. Die Dinge sind so geschehen, wie sie geschehen sind.

Nicht schön, nicht leicht – schmerzvoll. Aber: vollbracht.

Es gibt einen Punkt, an dem wir nicht mehr tun müssen. Es gibt einen Moment, in dem wir ruhen dürfen, einfach einatmen dürfen – und darauf vertrauen dürfen, dass Gott es aufnimmt. So wie es jetzt ist, bringt es Gott zur Vollendung. Und dieser Moment am Kreuz, so wie ihn Johannes beschreibt, enthält eine weitere befreiende Wahrheit: Du musst nicht alles selbst vollbringen. Du musst Gott nicht beweisen, dass du genug bist.

Nicht dein Glaube, nicht deine Kraft, nicht deine Fehlerlosigkeit machen dich zu einem liebenswerten Menschen, der Gnade in Gottes Augen findet – sondern deine menschliche Unvollkommenheit.

Jesus sagt: „Es reicht.“ Ich habe für euch durchgehalten. So wie ich einer von euch geworden bin, bleibe ich nun für euch an diesem menschenunwürdigen Ort. Am Kreuz spricht der Menschensohn nicht das Wort des Misserfolgs, sondern das Wort der Versöhnung mit diesem.Und so dürfen wir mit allem, was uns belastet, in dieser Stunde des Leidens bei ihm bleiben. Auch wenn es schmerzt.

„Es ist vollbracht. Und er neigte das Haupt und verschied.“ – Stille.

Heute, an Karfreitag, dürfen wir in der Stille des Kreuzes verweilen und wissen:

Alles liegt in Gottes Hand. Amen.

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