0451/30 80 10

Echte Gottesbegegnung? - Predigt von Vikar Per Olsen zu Erntedank

Echte Gottesbegegnung? - Predigt von Vikar Per Olsen zu Erntedank

Echte Gottesbegegnung? - Predigt von Vikar Per Olsen zu Erntedank

# D | Predigten

Echte Gottesbegegnung? - Predigt von Vikar Per Olsen zu Erntedank

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

Jan Petersen ist frustriert! Die vergangenen Wochen hat der Landwirt mühsam auf seinen Feldern die Ernte eingefahren. Viel Zeit, Geld und Mühe hat er im vergangenen Jahr in seine Felder gesteckt, die Erträge sind in diesem Jahr jedoch (mal wieder) kläglich. Das wechselhafte Wetter in diesem Sommer – mit längeren Dürreperioden und dann wieder wasserfallartigen Regenfällen – hat ihm wie bereits in den vergangenen Jahren die Ernte verhagelt. Als Landwirt hat er schon einiges erlebt, doch diese Situation wird für ihn und seinen Hof zunehmend existenzbedrohend. Denn den geringeren Einnahmen stehen immer weiter steigende Ausgaben gegenüber. Immer größer wird in ihm die Sorge, dass er den Hof nicht mehr lange halten kann. Der Landwirt ist nicht nur frustriert, er ist zunehmend erschöpft, wenn er auf die vielen Rechnungen auf seinem Schreibtisch schaut. Zwischen diesen Rechnungen wandert sein Blick auf einen bunten Flyer. Es ist die diesjährige Einladung der Kirchengemeinde zum Erntedankfest.

Er wird – wie jedes Jahr – natürlich wieder hingehen und auch etwas zu den Erntegaben beisteuern, die vor dem Altar aufgebaut werden. Die Menschen sollen ja etwas zu sehen haben, wenn sie Gottesdienst feiern! Doch ihm selbst ist nicht nach Feiern zumute. Und dann auch noch an einem Tag wie Erntedank – wofür soll er denn dankbar sein?!

Liebe Gemeinde,

Alle Jahre wieder feiern wir in einem Gottesdienst das Erntedankfest. Dieser erste Sonntag – immer nach dem Michaelistag am 29. September – ist ein fester Bestandteil unseres Kirchenjahres. Doch was ist eigentlich, wenn man – dem Anlass zum Trotz – gar nicht in der Stimmung ist, „Danke“ zu sagen? Was ist, wenn ich mich in diesem Herbst genauso müde und ausgelaugt fühle wie der Landwirt?

„Feste muss man feiern, wie sie fallen“, heißt es. Aber mit der Dankbarkeit ist das so eine Sache: Dankbarkeit ist ein Gefühl, das man nicht verordnen kann, auch nicht an so einem Tag. Aber ist es das, was dieser Feiertag von uns einfordert? Worum geht es eigentlich an Erntedank? Lässt sich dieser Tag mit seinen alten Liedern und Traditionen nach einem festen Schema begehen – nach dem Motto: Wir pflügen und streuen uns (wörtlich oder im übertragenen Sinn) durchs Jahr, hoffen darauf, dass Gott unsere Saat aufgehen lässt, um ihm im Herbst dann einmal „Danke“ zu sagen?

Daran ist zunächst nichts Falsches. Wissenschaftler sind sich seit Langem einig, dass es positive Auswirkungen auf das eigene Leben hat, wenn man im Alltag Raum für Dankbarkeit lässt. Wofür man dankbar ist, ist eine ganz individuelle Entscheidung: für Familie, ein Dach über dem Kopf, schönes Wetter oder dafür, dass wir in einem wohlhabenden Land leben. Wir dürfen dankbar sein, und m. E. dürfen wir das in diesem Land auch häufiger zum Ausdruck bringen.

Doch eine Erwartungshaltung „dankbar zu sein“ kann auch kippen. In manchen Situationen meines Lebens kann ich einfach nicht dankbar sein, weil mich etwas bedrückt. Wie erlebe ich dann Erntedank? Kann ich unter diesen Umständen meinem Gott noch dankbar begegnen? Oder fühle ich mich in solchen Momenten von ihm nicht viel weiter entfernt? Wo ist Gott in solchen Augenblicken zwischen Erntedanklied und festlich gestaltetem Gabentisch?

Fragen, die wir uns auch als Gesellschaft stellen können – erst recht in Zeiten, in denen so vieles Menschen bedrückt: steigende Preise für Lebensmittel, mangelnder Wohnraum, eine schwierige wirtschaftliche Lage. Schnell wird da ein Gefühl von Dankbarkeit von Sorgen überschattet. Und dabei haben wir die ganze Welt noch gar nicht in den Blick genommen. Wie passt ein Dankgottesdienst in so eine Welt, ohne einfach nur zu einem nostalgischen Blick zurück zu verkommen – zu einem Fest, das so gar nicht in unsere Zeit passt?

Vor ähnlichen Fragen stand damals auch das Volk Israel. Nach der katastrophalen Zerstörung Jerusalems und der Verschleppung vieler Israeliten nach Babylon hatten sich viele dort im Exil eingerichtet. Sie hatten sich ein neues Leben aufgebaut, lebten ihren Alltag und pflegten ihre alten religiösen Traditionen – unter anderem das Fasten.

Doch manchmal fühlte sich diese religiöse Praxis leer an. Die Israeliten hatten das Gefühl, im Fasten Gott nicht wirklich nahe zu sein: „Warum fasten wir, und du siehst es nicht?“, fragen sie. Genau in diesem Moment spricht Gott durch seinen Propheten Jesaja: „Ja, euer Fasten fühlt sich nicht nur leer an, sondern ist es auch. Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat?“

Doch Jesaja belässt es nicht bei Vorwürfen. Er erklärt seinen Hörern, wie gottgefälliges Fasten aussehen kann. Hier setzt unser heutiger Predigttext an:

7Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! 8Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. 9Dann wirst du rufen und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, 10sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. 11Und der Herr wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. 12Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward; und du sollst heißen: »Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne«.

„Brich mit den Hungrigen dein Brot! Gib Obdachlosen ein Dach über dem Kopf, Menschen Kleidung – und vor allem: Entferne aus deiner Mitte das Joch, das auf diesen armen Menschen lastet, das Fingerzeigen, das böse Reden!“

Selbst für unsere Ohren heute ist das eine ungewöhnliche Definition von Fasten – und doch trifft sie den Nagel auf den Kopf. Schon Propheten vor Jesaja (wie z. B. Amos) hatten den Umgang ihrer Landsleute mit Bedürftigen kritisiert. Das war noch zu der Zeit, als die Menschen in Jerusalem lebten. Und auch wenn sich die Lebenssituation und wahrscheinlich auch der Wohlstand der Israeliten im Exil völlig verändert hatte, bleibt die Botschaft dieselbe.

Es braucht nicht viel, was die Israeliten ihrem Fasten hinzufügen müssen, um Gott zu begegnen – außer diesem kurzen Imperativ: „Teile!“

So kurz und klar diese Botschaft ist, so hochaktuell ist sie auch mit Blick auf uns heute. Ja, auch wir erleben Rückschläge im Leben – ganz persönlich, aber auch als Gesellschaft. Wir ackern uns Tag für Tag in unserem Beruf ab und haben vermehrt das Gefühl, dass der Ertrag immer weniger stimmt. Unterm Strich scheinen sich unsere Mühen immer weniger zu lohnen – so das allgemeine Gefühl.

Und dann gibt es einige, die kommen in so einer Situation auf den Gedanken, erst einmal den Rückzug anzutreten: auf sich selbst zu schauen, die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Ein „Herbst der Reformen“, in dem man prüft, ob man sich die Fürsorge für die Bedürftigsten in unserer Mitte überhaupt noch leisten kann! Vielerorts herrscht Rückzug statt Zuwendung – sowohl im materiellen Sinn als auch innerlich: nicht mehr rausgehen, Freunde treffen, nachfragen, wie es jemandem geht.

Doch Jesaja sagt nicht: „Schau zunächst dankbar auf deine Situation, bevor du teilst.“ Stattdessen ermahnt er die Menschen: Die Fürsorge für unseren Nächsten soll immer Bestandteil unseres Gottesdienstes bleiben.

In Zeiten der Unsicherheit kann das Erntedankfest mit solch einem prophetischen Wort ein richtiger Wachrüttler sein – oder vielleicht sogar eine neue Vision. Jesaja will nicht nur kritisieren, er will auch neue Hoffnung schenken. Denn genau im Brotbrechen erscheint den Israeliten der Gott, den sie im Fasten so sehnlich gesucht haben. Mitten in der liebevollen Hinwendung zum Nächsten spricht Gott: „Hier bin ich!“  

Diese Botschaft Gottes steht im Zentrum unseres Textes: „Hier bin ich! – In deinem Teilen zeige ich mich dir, gebe dir neue Orientierung in der Dürre. Ich stärke dich, wenn du andere stärkst – wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. Dann wird dein eigener Hunger gestillt, du erfährst Heilung und siehst selbst wieder Licht am Ende des Tunnels.“

Dies ist die Grundaussage von Jesaja an dieser Stelle: Gott wendet sich wieder seinen Menschen zu, verheißt ihnen sogar die Rückkehr in die Heimat und den Wiederaufbau dessen, was in Trümmern lag – wenn sie das Brot mit den Hungrigen brechen.

Diese Botschaft zieht sich wie ein roter Faden durch die Bibel. Auch im Evangelium hören wir es: Im Brotbrechen einer auf den ersten Blick zu kleinen Menge erkennen die Menschen: Es ist genug für alle da, wenn wir anfangen zu teilen!

Und auch Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Wenn ihr mit den Hungrigen euer Brot brecht, den Fremden aufnehmt und den Nackten Kleidung gebt, dann begegnet ihr mir!“

Das ist echte Gottesbegegnung!

Auch wir feiern heute Gottesdienst, der hier im Hören auf Gottes Wort beginnen kann, sich aber nicht erschöpfen darf. Im gemeinsamen Singen und Beten können wir Raum für Dankbarkeit eröffnen. Im Abendmahl bekommen wir einen Vorgeschmack darauf, wie sich Gott im Brotbrechen zeigt. Doch unser Gottesdienst sollte nicht mit dem letzten Klang des Orgelnachspiels enden – er sollte erst beginnen!

Die Gottesbegegnung intensiviert sich, wenn wir die Mauern verlassen und uns unserem Nächsten liebevoll zuwenden: „Dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken.“

Zurück zu Jan Petersen: Nach dem Erntedankgottesdienst in der Kirche geht der Landwirt eilig zurück auf seinen Hof. Er hat nämlich noch eine wichtige Verabredung, die er nicht verpassen will. Jede Woche hält ein weißer Kastenwagen mit orangener Aufschrift auf seinem Hof: Die Tafel.

Woche für Woche steigt ein junger Mann aus, grüßt freundlich und empfängt von ihm einige Kisten voller Gemüse: krumme Gurken, Kartoffeln mit kleinen Macken, Tomaten, die den Supermärkten nicht schön genug sind. Bauer Petersen hat dieses Gemüse mit genauso viel Liebe angebaut – und es schmeckt genauso gut! Seit vielen Jahren gibt er diese Erträge ab, und er tut es gerne. Es ist nicht nur die nette Begegnung, sondern ein wohltuendes Ereignis, das ihn seine Sorgen für einen Augenblick vergessen lässt. Denn egal, ob er gerade viel oder wenig abzugeben hat – er weiß, dass sich Menschen über das Essen freuen und dankbar für seine Ernte sind.

Erntedank eben! Und Gott sagt: „Hier bin ich!“

Amen.

Dies könnte Sie auch interessieren