11/01/2025 0 Kommentare
Durch die Stromschnellen - Predigt zum 1. Sonntag nach Epiphanias von Vikar Per Olsen
Durch die Stromschnellen - Predigt zum 1. Sonntag nach Epiphanias von Vikar Per Olsen
# D | Predigten

Durch die Stromschnellen - Predigt zum 1. Sonntag nach Epiphanias von Vikar Per Olsen
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
„Wer den Mississippi kennt, wird sofort sagen […], dass zehntausend [Maßnahmen] diesen gesetzlosen Strom nicht zähmen können, ihn nicht eindämmen oder einschränken können, ihm nicht sagen können: Geh hierhin oder dorthin, und ihn zum Gehorsam zwingen können; ein Ufer nicht retten können, das er verurteilt hat; seinen Weg nicht mit einem Hindernis versperren können, das er nicht niederreißen, darüber tanzen und auslachen würde.“
Mit diesen Worten beschreibt der amerikanische Schriftsteller Mark Twain die unbändige Kraft des Mississippi, dem längsten Fluss Nordamerikas. Und wer könnte dies besser wissen als Twain selbst, der am Mississippi aufgewachsen ist und den Fluss zum Schauplatz des Geschehens in seinen Werken gemacht hat, wie den Abenteuern von Tom Sawyer.
Ein Fluss kann vieles sein. Einerseits ist er ein Ort der Schönheit und der Schöpfung: Heimat für Pflanzen und Tiere, zuweilen ein echtes Naturwunder, das uns staunen lässt. Ein Fluss kann Mensch und Tier Lebensgrundlage sein oder natürlichen Schutz bieten. Denken wir an Lübeck, das nicht zufällig zwischen zwei Strömen gegründet wurde. Flüsse prägen die Identität ganzer Städte und Regionen. Friedrich Smetana hat diese Verbindung in seiner sinfonischen Dichtung über die Moldau eindrucksvoll vertont.
Doch ein Fluss hat eben auch eine andere Seite. Mark Twain beschreibt ihn hier als unbezwingbare, unberechenbare Macht. Das erleben auch wir manchmal ganz konkret, wenn beispielsweise eine Hubbrücke nicht funktioniert. Plötzlich trennt der Fluss, was verbunden sein sollte. Flüsse können Barrieren zwischen Stadtteilen, Ländern oder ganzen Völkern sein. Und manchmal wird ein Fluss zur Gefahr, wenn er über die Ufer tritt und Zerstörung bringt, wie vor einigen Jahren im Ahrtal.
Diese gefährliche Seite des Wasser kennen auch die Menschen in der Bibel. Das Volk Israel steht nach 40 Jahren Wüstenwanderung endlich vor dem gelobten Land. Zunächst hat Mose sie aus Ägypten geführt und später Josua die Verantwortung übertragen, sie ins gelobte Land zu bringen – und nun ist da der Jordan, der ihnen den Weg versperrt. Der Fluss, der sie vom Ziel ihrer Reise trennt, wird zur letzten großen Herausforderung, zum scheinbar unüberwindbaren Hindernis – eine Überquerung mit dem ganzen Volk (das höchstwahrscheinlich nicht schwimmen konnte) ist undenkbar. Ist hier nun das Ende aller Hoffnungen? Nach Jahrzehnten voller Strapazen, Hoffnungen und Zweifel nun so nah am Ziel und doch ist der Weg versperrt.
Wir wissen heutzutage Flüsse zu überwinden (die Sache mit der Hubbrücke mal ausgeklammert). Doch ich frage mich: Vor welchen Stromschnellen stehen wir heute? Vielleicht nicht vor einem physischen Fluss, aber doch vor Hindernissen, die uns unüberwindbar erscheinen:
Als Land vor großen Veränderungen inmitten eines hitzigen Wahlkampfs. Als Gesellschaft, die sich in einem Strom medialer Häme und Hetze verliert und sich entzweit. Oder ganz persönlich: vielleicht vor einer wichtigen Prüfung, einer großen Aufgabe oder einer Entscheidung, die uns überfordert – wenn wir vor ihr stehen und nicht weiter wissen.
So steht nun auch Josua mit den Israeliten vor dem Jordan. Doch sein Name – übersetzt: „Gott hilft“ – ist eben zugleich eine Zusage. Im heutigen Predigttext aus Josua 3 hören wir, wie Gott dem Volk einen Weg durch den Fluss öffnet:
5 Und Josua sprach zum Volk: Heiligt euch, denn morgen wird der Herr Wunder unter euch tun. 6 Und Josua sprach zu den Priestern: Hebt die Bundeslade auf und geht vor dem Volk her! Da hoben sie die Bundeslade auf und gingen vor dem Volk her. 7 Und der Herr sprach zu Josua: Heute will ich anfangen, dich groß zu machen vor ganz Israel, damit sie wissen: Wie ich mit Mose gewesen bin, so werde ich auch mit dir sein. 8 Und du gebiete den Priestern, die die Bundeslade tragen, und sprich: Wenn ihr an das Wasser des Jordans herankommt, so bleibt im Jordan stehen.
9 Und Josua sprach zu den Israeliten: Herzu! Hört die Worte des Herrn, eures Gottes! 10 Daran sollt ihr merken, dass ein lebendiger Gott unter euch ist und dass er vor euch vertreiben wird die Kanaaniter, Hetiter, Hiwiter, Perisiter, Girgaschiter, Amoriter und Jebusiter: 11 Siehe, die Lade des Bundes des Herrn der ganzen Erde wird vor euch hergehen in den Jordan.
17 Und die Priester, die die Lade des Bundes des Herrn trugen, standen still im Trockenen mitten im Jordan. Und ganz Israel ging auf trockenem Boden hindurch, bis das ganze Volk über den Jordan gekommen war.“
Eine echte Wundergeschichte: Gott hilft, und das Volk erkennt, dass der lebendige Gott in ihrer Mitte ist. Der Weg ins gelobte Land ist frei.
Aber was bedeutet das für uns? Was tun wir, wenn wir am Ufer eines reißenden Stroms stehen? Wie überwinden wir Hindernisse, die uns den Weg versperren? Josua gibt auf diese Frage dem Volk Israel eine überraschend klare Anweisung: Bleibt stehen! Tretet heran und hört die Worte des Herrn, eures Gottes. Und dann geht los in dem Wissen, dass Gott mit euch geht. Manchmal ist es genau das: innehalten, hinhören, sich bewusst machen, dass Gott da ist – mitten im Fluss, an der tiefsten Stelle, am kritischsten Punkt.
Manchmal – manchmal aber auch nicht. Was ist, wenn es trotzdem nicht weitergeht; wenn sich kein Weg durch die Stromschnellen eröffnet? Was ist, wenn ich es gerade auch einfach nicht schaffe, weil mir die Kräfte, das Vertrauen in Gott oder in mich selbst fehlen? Manchmal bleibt das Hindernis ein Hindernis und wir können es nicht überwinden. Es wäre nicht richtig, auch diese Wahrheit an dieser Stelle zu verschweigen. Und es wäre nicht richtig, in den Herausforderungen dieser Zeit auf eine Lichtgestalt wie Josua zu warten. Es wäre sogar töricht zu denken, ein Mensch allein – eine starke Führungsfigur, wie sie sich einige Menschen auch heutzutage noch wünschen – würde die schwierigsten Herausforderungen unserer Zeit mit einer so kurzen Antwort lösen.
Denn vielleicht geht es auch in der Geschichte weniger um Josua als um den Fluss selbst: Nicht Josua löst das Problem, sondern Gott und der Fluss wird Zeuge für etwas Größeres. Später kommt ein anderer Mann an diesen Fluss – Jesus. Sein Name bedeutet ebenfalls „Gott hilft“. Doch er teilt den Fluss nicht und tritt als starker Führer auf. Stattdessen lässt er sich im Jordan taufen. Und dabei kommt der Geist herunter und eine Stimme spricht: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ (Mt 3,17) Dieser Zuspruch gilt auch uns, wie wir heute Morgen im Wochenspruch gehört haben: „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“ (Röm 8,14). Durch die Taufe sind auch wir Gottes Kinder, geliebt und getragen. Kinder an denen Gott Wohlgefallen hat, auch wenn wir die Stromschnellen des Lebens mal nicht überwinden können. Amen.
Kommentare